BVerfG: Gefangene haben Recht auf Vollzugslockerung – auch bei Fluchtgefahr

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Karlsruhe. Strafgefangene haben ein Recht auf begleiteten Ausgang (sogenannte Ausführung). Sie dürfen diese Vollzugslockerung auch bei Fluchtgefahr beanspruchen. Gegebenenfalls müsste der Strafvollzug entsprechende Sicherheitsmaßnahmen ergreifen und den damit verbundenen personellen Aufwand hinnehmen. Dies stellte das Bundesverfassungsgericht kürzlich klar und stärkte damit das Grundrecht auf Resozialisierung auch für langjährige Häftlinge.

Argumente der vorhergehenden Instanzen

Auch langjährige Strafgefangene haben ein Recht auf Vollzugslockerung - trotz möglicher Fluchtgefahr.
Auch langjährige Strafgefangene haben ein Recht auf Vollzugslockerung – trotz möglicher Fluchtgefahr.

Die Verfassungsrichter hatten kürzlich mit drei Beschlüssen den Verfassungsbeschwerden von langjährig Inhaftierten stattgegeben (Az.: 2 BvR 1165/19, 2 BvR 681/19, 2 BvR 650/19). Sie hatten in ihren Justizvollzugsanstalten (JVA) Ausführungen beantragt, eine Vollzugslockerung, bei der Häftlinge für eine bestimmte Zeit die Gefängnismauern unter Aufsicht eines Vollzugsbeamten verlassen dürfen.

Die JVA versagten diese Vollzugslockerung wegen Fluchtgefahr und möglichem Missbrauch. Einer der Häftlinge hatte seine Straftat im offenen Vollzug begangen. Das Hauptargument aber lag darin, dass keiner der Gefangenen Gefahr laufe, seine Lebensfähigkeit in der Freiheit zu verlieren. Die Männer hätten stabile Außenkontakte und seien fähig, ihren Alltag zu bewältigen.

Bei den Inhaftierten, deren Vollzugslockerung auch wegen Fluchtgefahr abgelehnt wurde, handelt es sich um Straftäter, die zu langen Freiheitsstrafen verurteilt wurden und deswegen bereits sieben, zwölf bzw. vierzehn Jahre im Gefängnis saßen – wegen Mordes, Totschlags bzw. schwere sexuellen Kindesmissbrauchs.

Grundrecht auf Resozialisierung durch Vollstreckungsgerichte grundlegend verkannt

Die Landes- und Oberverwaltungsgerichte folgten dieser Argumentation und ernteten dafür scharfe Kritik vom Bundesverfassungsgericht. Sie hätten die Bedeutung des Grundrechts auf Resozialisierung verkannt.

Das Gebot, die Lebenstüchtigkeit Gefangener zu erhalten und zu festigen, greift nicht erst dann, wenn sich bereits eine Einschränkung der Lebenstüchtigkeit unter den Verhältnissen der Haft bemerkbar macht. Das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 GG abzuleitende Grundrecht Gefangener auf Resozialisierung gebietet vielmehr gerade auch die Erhaltung der Tüchtigkeit für ein Leben in Freiheit,

Sicherheitsbedenken sollten kein Ausschlusskriterium für die Vollzugslockerung sein. Einer Fluchtgefahr kann mit besonderen Vorkehrungen begegnet werden.
Sicherheitsbedenken sollten kein Ausschlusskriterium für die Vollzugslockerung sein. Einer Fluchtgefahr kann mit besonderen Vorkehrungen begegnet werden.

führt das Bundesverfassungsgericht hierzu in seiner Pressemitteilung Nr. 68/2019 vom 18.10.2019 aus.

Auch könne die Vollzugslockerung nicht wegen Fluchtgefahr oder Missbrauch abgelehnt werden. Die pauschale Behauptung einer solchen Gefahr allein mit dem Hinweis auf eine vor vielen Jahren im offenen Vollzug begangenen Straftat genüge nicht. Vielmehr muss die JVA bei einer Versagung der Ausführung konkrete Tatsachen anführen, die eine Flucht- und Missbrauchsgefahr begründen.

Resozialisierung ist die schrittweise Wiedereingliederung von Strafgefangenen in die Gesellschaft. Sie ist ein Ziel des Strafvollzugs und verfassungsrechtlich verankert.

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Über den Autor

Franziska
Franziska L.

Franziska hat nach ihrer juristischen Ausbildung in verschiedenen Branchen gearbeitet. Seit 2017 ist sie Teil der anwalt.org-Redaktion. Durch ihre fachliche Ausrichtung liegen ihr Texte zu unterschiedlichsten rechtlichen Fragestellung im Verkehrsrecht, Umweltrecht, Strafrecht und vielem mehr.

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